Die Orientierung an digitalen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen ist eng mit unserem konkreten Wissen über Mediennutzung sowie der eigenen pädagogischen Haltung verbunden. Die Angst, dass junge Menschen z.B. aufgrund von digitalen Medien keine Bücher mehr lesen oder sich nicht mehr mit Freund*innen treffen, kann die Auseinandersetzung mit diesen Lebenswelten hemmen – auch dann, wenn die Sorge (wie in diesem Fall) unbegründet ist (vgl. JIM-Studie 2020, Freizeitaktivitäten: S. 11, Bücher: S. 23).
Doch sich eine Meinung zu bilden und up to date zu bleiben, ist gar nicht so einfach: Mediale und digitale Welten befinden sich in ständiger Wandlung und die Intervalle, in denen neue Geräte, Plattformen und Praktiken auftauchen, verkürzen sich zusehends. Die Wissenschaft reagiert hierauf mit Studien zum Mediennutzungsverhalten, die in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. In unserem Jugendhilfe-Navi-Video zum Thema Lebensweltorientierung haben wir euch bereits den Tipp gegeben, dass euch medienpädagogische Studien dabei helfen, einen guten Überblick über die digitalen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zu behalten. Im Folgenden möchten wir euch daher ein paar Studien vorstellen, die hierbei besonders relevant, leicht verständlich und kostenlos zugänglich sind.
Nahezu jede*r Medienpädagog*in kennt sie: Das umfangreiche Studienrepertoire des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (https://www.mpfs.de/startseite/). Hierzu gehört auch die JIM-Studie (https://www.mpfs.de/studien/#19&tab=tab-18-1-c), die das Nutzungsverhalten und den Gerätebesitz von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren untersucht. Sie erscheint jährlich seit über zwei Dekaden und bietet daher interessante Einblicke in Langzeitentwicklungen. Je nach aktuellem Anlass werden neue Schwerpunkte in die Untersuchung eingebaut, z.B. Lernen in Corona-Zeiten, Beleidigungen im Netz oder Streamingdienste. Die Jugendlichen werden sowohl über digitale Fragebögen als auch persönlich am Telefon befragt.
Die KIM-Studie (https://www.mpfs.de/studien/#19&tab=tab-18-1-c) stellt das Pendant zur JIM-Studie mit Fokus auf 6- bis 13-Jährige dar. Im Gegensatz zu den Teilnehmenden der JIM-Studie werden nicht nur Kinder, sondern auch ihre Eltern befragt. Beide Studienreihen zeichnen sich durch einen hohen pädagogischen Mehrwert sowie eine randomisierte und repräsentative Stichprobenziehung aus.
Auch die Bitkom (Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche) widmet sich fortlaufend der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Unter wechselnden Namen wie “Jugend 2.0” (2011), “Jung und vernetzt” (2014) oder der neuesten Veröffentlichung “Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt” (2019, https://www.bitkom.org/sites/default/files/2019-05/bitkom_pk-charts_kinder_und_jugendliche_2019.pdf) wird das Mediennutzungsverhalten junger Menschen von 6 bis 18 Jahren beleuchtet. Die Bitkom-Studien decken nicht nur Gerätebesitz und Nutzung-Präferenzen ab, sondern widmen sich auch zwischenmenschlichen Szenarien, z.B. der elterlichen Begleitung, digitaler Verantwortung oder Beleidigungen im Netz.
Publikationen wie die Kinder Medien Studie (https://kinder-medien-studie.de/wp-content/uploads/2019/08/KMS2019_Handout.pdf) oder der Kinder Medien Monitor (https://kinder-medien-monitor.de/wp-content/uploads/2021/08/KiMMo2021_Berichtsband.pdf) bieten spannende Einblicke in die Lebenswelt von jungen Menschen. Die Studien sind jedoch von Unternehmen gefördert, die wirtschaftliche Interessen verfolgen. Dieser Umstand tritt deutlich in ihrem Fokus auf Aspekte hervor, die für die Marktforschung relevant sind, z.B. Verfügbarkeit von Taschengeld, Markenpräferenzen oder Entscheidungsmacht bei Einkäufen. Wer im Hinterkopf behält, von wem die Reihen finanziert wurden, kann aus ihnen dennoch einen Nutzen ziehen.
Wer einen Blick auf das gesamtgesellschaftliche Mediennutzungsverhalten werfen möchte, ist beim Digitalindex (https://initiatived21.de/d21index/) gut aufgehoben. Die Publikation wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und bietet eine umfangreiche Einsicht in Nutzungsmuster und den Einfluss digitaler Medien auf unseren Arbeitsplatz, das Gesundheitswesen oder die Schule. Orientiert an vier Grunddimensionen nehmen die Forschenden zudem eine Einschätzung der durchschnittlichen “Digitalisierungsrate” in Deutschland vor. Die Stichprobengröße von über 18.000 Interviews und die Durchführung seit über 20 Jahren sprechen für sich, wertende Begrifflichkeiten wie “Konservative Gelegenheitsnutzer*innen” oder “Reflektierte Profis” können jedoch kritisch gesehen werden.
Ebenso schaffen die ARD/ZDF Online Studien (https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/) einen übersichtlichen Einblick in das Mediennutzungsverhalten der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren. Die Teilnehmenden wurden in computergestützten Telefoninterviews zu den Grundzügen ihres Medienrepertoires befragt.
Informationskompetenz ist auch beim Beurteilen von Studien eine essentielle Fähigkeit der digitalen Wissenskultur. Wenn Produktion und Konsum von Inhalten für alle zugänglich werden, schafft das demokratischen Austausch – gleichzeitig bleibt oftmals eine fachliche Prüfung von Inhalten aus. Die Beurteilung von Informationen wird in die Hände von Rezipient*innen gelegt, die manchmal ohne entsprechende Kompetenz unseriösen oder fiktiven Studien Glauben schenken. Achtet daher auch bei Studien zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen immer darauf, aus welcher Quelle sie stammen und ob ggf. die Herausgeber*innen mit den Ergebnissen eine eigene meinungsbildende Agenda verfolgen. Woran ihr schlechte Studien erkennen könnt, hat der WDR in einem Beitrag zusammengefasst: https://www1.wdr.de/wissen/schlechte-studien-100.html
Zum Schluss möchten wir euch noch auf eine besonders verlässliche Quelle für Informationen zur Mediennutzung aufmerksam machen: Die Kinder und Jugendlichen selbst. Sie erleben sich gerne als Expert*innen für ihre Lebenswelt, wenn Eltern oder Pädagog*innen sie darauf ansprechen. Ein offenes Gespräch über Bedürfnisse, Wünsche und Interessen kann außerdem das Vertrauen und das gegenseitige Verständnis stärken und ist gelebte Lebensweltorientierung. Beachtet aber auch, dass sich manche Trends oder Risiken innerhalb einer von euch befragten Peer-Group häufen können, aber die von euch dann wahrgenommene Relevanz des Themas (wie z.B. das Betroffensein von Cybermobbing) nicht unbedingt identisch mit der empirisch gemessenen Häufigkeit desselben ist. Der Blick in die geschilderten Studien ermöglicht also eine rationale und faktenbasierte Perspektive auf die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen.